- Das Unternehmen entwickelt, konstruiert, baut und liefert Produktionsanlagen, die es in die Produktionslinien ihrer Kunden integriert. Mit anderen Worten: das Unternehmen realisiert Projekte.
- In diesem Geschäft realisiert das Unternehmen mit 150 MitarbeiterInnen 35 Mio € Umsatz.
- Die typischen Symptome einer Multiprojekt-Organisation sind – für jeden im Unternehmen – deutlich präsent: Multitasking, Stress, Verzögerungen, Druck, unzufriedene Kunden.
Die Geschäftsführerin stellte zunächst die Situation des Unternehmens und die Entwicklung der Märkte dar. Sie zeigte, dass das Unternehmen leicht 25 % mehr Anlagen pro Jahr verkaufen könne, wenn es nur in der Lage wäre, entsprechend mehr Projekte zu realisieren. Das Problem ist: die richtigen neuen MitarbeiterInnen zu finden und einzuarbeiten dauert zu lange; erhebliche Verkaufschancen könnten jetzt nicht wahrgenommen werden.
Was tun? Mit den (sinngemäß) folgenden Worten hat mich die Geschäftsführerin außerordentlich beeindruckt:
„Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
möglicherweise werdet ihr es für unmöglich halten. Schon jetzt schaffen wir es nicht, unsere Anlagen pünktlich auszuliefern. Und nun verlange ich, dass wir – ohne zusätzliche Mitarbeiter – noch mehr Anlagen bauen. Wie soll das gehen?
Ihr wisst, wie das geht! Ihr habt mir schon lange immer wieder gesagt, dass wir zu viele Projekte gleichzeitig bearbeiten. Dadurch springt man ständig zwischen verschiedenen Aufgaben hin und her, und alles zieht sich in die Länge. Außerdem entstehen Fehler, die wir später ausbaden müssen, und der Aufwand geht hoch, weil man sich immer wieder neu in eine zuvor unterbrochene Aufgabe hineindenken muss. Schon oft habe ich von euch genau das gehört.
Es tut mir wirklich leid, dass ich bis jetzt nicht auf diese Aussagen reagiert habe – im Gegenteil.
Nun haben wir uns im Leitungsteam zusammen gesetzt und sind auf eine einfache Lösung gekommen: Wir bearbeiten weniger Projekte gleichzeitig. Dadurch geht Multitasking zurück, es gibt weniger Stress und vor allen Dingen: jedes einzelne Projekt wird viel schneller fertig. Und sowie eine Anlage ausgeliefert ist, können wir ja an der nächsten Anlage arbeiten, die dann auch schneller fertig wird.
Im Leitungsteam haben wir eine Liste der Projekte erstellt, auf die wir uns ab morgen konzentrieren; alle anderen Projekte werden pausiert. Und eines dieser pausierten Projekte wird erst wieder angefasst, wenn wir ein anderes fertiggestellt haben.
Die Projektleiter der pausierten Projekte haben mir gesagt, dass sie es so einrichten können, das die betroffenen Kunden wahrscheinlich nicht einmal merken, dass ihr Projekt eingefroren wurde. Und merken sie es doch, ist das vielleicht vorübergehend unangenehm, wird aber nicht zu Konsequenzen führen. Im Gegenteil: nach kurzer Zeit arbeiten wir ja wieder an dem Auftrag und stellen ihn schneller fertig, als der Kunde von uns gewöhnt ist.
Die Abteilungsleiter haben die Liste der aktiven Projekte und werden sie an den schwarzen Brettern aushängen. Darauf darf und muss sich jeder beziehen; nur an diesen Projekten wird gearbeitet. Und wer zwei Aufgaben gleichzeitig auf dem Tisch hat, schaut in der Liste nach, welches Projekt weiter oben steht und arbeitet daran; nicht an dem anderen. Ich werde mich persönlich darum kümmern, dass diese neue Regel eingehalten wird; und jedem, der Fragen dazu hat, erkläre ich gerne nochmal, warum wir das so machen.“
Nach diesen Worten, die ich leider nur aus dem Gedächtnis wiedergeben kann, war es still im Raum. Einige Sekunden, auch wenn es sich nach mehreren Minuten angefühlt hat. Dann kamen die ersten Fragen, die alle zwar Erleichterung verspüren ließen, aber aus denen gleichzeitig deutlich wurde, dass die Mitarbeiter noch nicht überzeugt waren, dass es wirklich ernst gemeint war. Die Geschäftsführerin konnte die Zweifel ausräumen; und auch die anwesenden Abteilungsleiter und Projektmanager äußerten sich entsprechend.
Mir wurde berichtet, dass schon am nächsten Tag eine neue Arbeitsathmopsphäre spürbar war. Und heute, eine knappe Woche später, hat mir die Geschäftsführerin die Email eines Gruppenleiters weitergeleitet, in der wortwortlich steht: „Danke dass wir endlich wieder vernünftig arbeiten dürfen.“
So einfach kann Veränderung sein!