Zeiterfassung in Unternehmen sollte abgeschafft werden.
Damit ist nicht die Erfassung der Arbeitszeit generell gemeint, also Anfang und Ende der Arbeitszeit und Überstunden. Stattdessen geht es um das Erfassen der Arbeitszeit im Detail, mit dem Ziel, die geleisteten Stunden unterschiedlichen Aufgaben, Projekten, Kostenträgern oder ähnlichem zurechnen zu können.
Die Unternehmen, die VISTEM begleitet, wollen ihre Projekte beschleunigen, die Zuverlässigkeit der Projekte und ihre Kapazität erhöhen und das mit den gleichen Ressourcen, also ohne zusätzliche Kosten zu erzeugen. Um diese Ziele zu erreichen, werden bestimmte, genau definierte Veränderungen in der Organisation durchgeführt. Dabei erleben wir immer wieder, dass die detaillierte Zeiterfassung zur Change-Bremse wird.
Die meisten Unternehmen arbeiten mit Zeiterfassung, vor allem, wenn Projekte eine wichtige Rolle spielen, wie zum Beispiel in der Produktentwicklung. Manager erhoffen sich von Zeiterfassung,
- herauszufinden, ob sich ein Projekt gelohnt hat
- zukünftige Pläne/Projekte zu verbessern, um die Planungsqualität zu erhöhen
- Ressourcen-Effektivität (Performance/Leistung der Ressourcen) sicherzustellen und sie nach Möglichkeit verbessern
die Ressourcen optimal auszunutzen, so dass Mitarbeiter ständig beschäftigt sind. - Letztlich geht es also um eine höhere Wirtschaftlichkeit des Unternehmens.
Im ersten Teil dieser Blogreihe soll gezeigt werden, weshalb diese Ziele durch Zeiterfassung nicht erreicht werden können. Außerdem werden die schädlichen Nebenwirkungen erklärt, die durch Zeiterfassung entstehen. In Teil 2 wird eine Alternative zur Zeiterfassung vorgestellt.
Ein typischer Teufelskreis in Multiprojekt-Organisationen
In den meisten Multiprojekt-Umgebungen ist die Arbeitslast zu hoch. Es werden zu viele Projekte gleichzeitig gemacht. Wenn die Projekte um die Ressourcen konkurrieren, muss jemand Entscheidungen treffen, an welchem Projekt jetzt gerade gearbeitet wird. Um diesen Entscheidungsdruck zu reduzieren, verteilen die Ressourcenmanager die Ressourcen auf die aktiven Projekte. Gleichzeitig lassen sie schädliches Multitasking zu. Die Folge: Höherer Arbeitsaufwand und Verspätungen, was die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens gefährdet. Es klingt zunächst paradox, aber Zeiterfassung ist mitverantwortlich dafür, dass sich in Multiprojekt-Organisationen dieser typische Teufelskreis hält.
Abbildung 1: Der Teufelskreis
Angetrieben von der Zeiterfassung ist es im Projektmanagement heute sehr üblich, den Zeitverbrauch für Projekte bis ins kleinste Detail festzulegen. Wir wollen ja unsere Projekte zuverlässig rechtzeitig abschließen. Wie machen wir das? Wir zerlegen das große Projekt in einzelne Schritte. Dann schätzen wir, wie lange die einzelnen Schritte dauern. Danach legen wir für jeden einzelnen Projektschritt einen Termin fest. Bei der Umsetzung des Projektes sorgen wir schließlich dafür, dass die Dauer dieser einzelnen Schritte eingehalten wird, um dadurch zu erreichen, dass das Projekt rechtzeitig abgeschlossen wird. Projektzuverlässigkeit soll durch Vorgangszuverlässigkeit sichergestellt werden.
Wir leben allerdings in einer Welt von Unsicherheit und Murphy (Murphys Gesetz besagt bekanntlich, dass was schief gehen kann, auch schief geht). Dass bedeutet, dass ich den Aufwand und die Dauer für einen einzelnen Projektschritt nur schätzen kann. In der Regel liegen wir mit unseren Annahmen daneben. Nehmen wir an, ich würde Zusagen machen müssen für Ressourcen, die mit einem bestimmten Budget auskommen müssen. Wenn ich gleichzeitig respektiere, dass Mitarbeiter zuverlässig sein sollen und sie außerdem durch Zeiterfassung kontrolliere, dann erzeugen wir zwei Effekte:
Projektlänge und Sicherheitsreserven
Wenn ich eine Schätzung meines Aufwandes abgeben muss, werde ich immer so schätzen, dass ich mit der angegebenen Dauer auch mit hoher Wahrscheinlichkeit auskomme. Auf der anderen Seite haben wir aber auch die Wirkung, dass die in den Plänen festgelegten (Zeit-)Budgets mindestens verbraucht werden. Wenn ein Mitarbeiter dafür bekannt ist, dass er immer weniger Arbeitszeit verbraucht, als er vorher gesagt hat, dann wird er im nächsten Projekt seine Aufwandsschätzung gekürzt werden. Diesen geringeren Aufwand könnte er dann nicht zuverlässig einhalten. Das heißt, für Mitarbeiter ist es für ihr Überleben in der Organisation wichtig, dass sie einmal festgelegte Budgets verbrauchen und nicht etwa früher fertig werden.
Aus Unternehmenssicht gibt es einen zusätzlichen Antrieb für Zeiterfassung: Die Arbeiten dehnen sich auf das vorher festgelegte Budget aus. Dass das IST auch ganz sicher dem SOLL entspricht, ist sehr gewünscht, denn es erfolgt eine direkte Abrechnung des Aufwandes mit dem Kunden. Mitarbeiter sind „motiviert“, das einmal vorhandene Budget auch zu verbrauchen.
Weil
- Projekte signifikante Sicherheiten enthalten,
- ein höherer Aufwand budgetiert wurde, als eigentlich erforderlich ist,
- Budgets immer mindestens verbraucht werden,
Das bedeutet, dass Erkenntnisse aus der Zeiterfassung nicht geeignet sind, zukünftige Pläne zu verbessern. Es ist außerdem nicht möglich, durch Zeiterfassung zu erkennen, ob die Ressourcen genügend produktiv arbeiten. Die Vervollständigungseffekte sind so stark, dass ein SOLL/IST-Vergleich keinen Sinn mehr ergibt.
„Taktische“ Zeiterfassung
Von Mitarbeitern höre ich immer wieder, dass Zeiterfassung ihnen persönlich gar nichts nützt. Sie bekommen dadurch keinen persönlichen zusätzlichen Erkenntnisgewinn, an welchen Stellen Störungen entstehen. Sie machen es praktisch „nur fürs Controlling.“ Erschwerend kommt hinzu, dass es für Mitarbeiter negative Auswirkungen hat, wenn sie Budgets nicht einhalten. Es ist einfach nicht angenehm, wenn man ein Budget überzieht. Mir wird immer wieder von Mitarbeitern und Führungskräften bestätigt, dass die Zeiterfassung deshalb nicht mehr entsprechend der Realität erfolgt, sondern „taktisch“, sodass Pläne, Budgets oder Vorgaben möglichst gut erfüllt werden. Das heißt, die erfassten Zeiten weichen von dem tatsächlichen Zeitverbrauch stark ab und entsprechen eher dem Plan.
Zusammenfassung
Durch detaillierte Zeiterfassung können Unternehmen die angestrebten Ziele nicht erreichen. Im Gegenteil: das Verfahren kann demotivierend auf Mitarbeiter wirken und in einem Teufelskreis schädliches Multitasking sogar noch anfachen.
Geht das nicht auch einfacher? In Teil 2 stelle ich eine Vorgehensweise vor, die den ursprünglichen Zweck der detaillierten Zeiterfassung viel eleganter erfüllt.
Oder Sie sehen unser ausführliches Web-Seminar zu diesem Thema hier:
https://www.youtube.com/watch?v=Myrv6lDf_VA&feature=share