Die Identifikation des Unternehmens-Engpasses ist der erste der fünf Fokus-Schritte bei der Implementierung der Theory of Constraints. In Eli Goldratts Roman Das Ziel ist der Engpass eine Maschine – Im Roman dient dies dazu, das Konzept des Flaschenhalses gut bildlich darstellen zu können. Denn in der Realität ist der Engpass oft abstrakter: eine Ressource, ein Zulieferersystem oder gar der Markt. In Multiprojektumgebungen scheint der Engpass sogar häufig zu wechseln: mal ist er hier, mal dort.
Immer häufiger jedoch wird Management-Aufmerksamkeit als der ultimative Engpass in Unternehmen genannt. Wie kommt es dazu? Und vor allem: was können wir dagegen tun? Diese Problematik sprach Goldratts Sohn Rami 2011 in einem Seminar an.
Ein Kernkonflikt
Manager werden unweigerlich hin und her gerissen zwischen Entscheidungskonflikten aus unterschiedlichen Bereichen und Ebenen. Einige Beispiele dafür sind:
- Ein neues IT-System einführen oder das bestehende behalten
- Preise reduzieren oder Profitmargen sichern
- Kurzfristig Änderungen am Projekt vornehmen oder Liefertermin und Budget einhalten
- Bestände aufbauen oder Kapital sichern
Unter den allermeisten dieser Entscheidungen liegt ein Kernkonflikt, dessen zwei Seiten auf den ersten Blick unvereinbar sind: langfristiges Wachstum oder aktuelle Stabilität? Dies wird in der folgenden Dilemma-Wolke anschaulich dargestellt:
Dabei liegen diese beiden Bedürfnisse nur augenscheinlich im Konflikt zueinander, denn beide Bedürfnisse müssen erfüllt sein, um das Ziel „erfolgreiches Unternehmen“ zu erreichen.. Denn ein unstabiles Unternehmen hat geringe Chancen auf nachhaltiges Wachstum. Und um stabil zu sein, muss ein Unternehmen sich auf Wachstum konzentrieren.
Tagtäglich reiben sich Manager zwischen diesen beiden Polen auf. Denn Management-Aufmerksamkeit ist keine unendliche Ressource und in den meisten Organisationen übersteigt die „Nachfrage“ das Angebot bei weitem: dies kennen Sie sicher auch aus Ihrem Unternehmensalltag. Daher ist es (erfolgs-)kritisch, dass die vorhandene Aufmerksamkeit möglichst effizient genutzt wird. Sie würden kaum eine Engpass-Ressource dafür einsetzen, ein Bauteil herzustellen, das Sie anschließend in den Müll werfen. Genauso verhält es sich mit Management-Aufmerksamkeit: alles, was das Unternehmen nicht vorantreibt (oder gar das Gegenteil bewirkt), ist Verschwendung: weggeworfene Zeit. Und doch ist dies vielerorts Alltag.
Der Ursprung: drei allzu menschliche Tendenzen
Wie kann es sein, dass so viele Unternehmen so erschreckend ineffizient funktionieren? Eli Goldratt sah den Grund in drei fundamentalen menschlichen Verhaltensweisen:
- die Angst vor Komplexität: sie führt dazu, dass wir ein System in (unnötig) Untersysteme zerteilen und dabei lokale Optima erschaffen.
- die Angst vor dem Unbekannten: hierdurch zwängen wir Gewissheit und Genauigkeit auf Situationen, deren Ungewissheit unvermeidbar ist.
- die Angst vor Kraftproben: um Konflikte zu vermeiden, gehen wir unzufriedenstellende Kompromisse ein.
Die Folgen sind:
- schädliche lokale Optima, die nicht nur mit den globalen Optima, sondern zudem noch oft miteinander im Konflikt stehen
- unwirksame Aktionen und Maßnahmen, die innerhalb der im Alltag typischen Fluktuationen verpuffen; unzutreffende und veraltete Regeln werden befolgt
- keine Beseitigung der Konflikte: lediglich Symptome werden bekämpft und das Management pendelt zwischen den Konfliktparteien hin und her
Die drei Mechanismen führen dazu, dass Management-Aufmerksamkeit in alle Richtungen gezerrt wird, oft zwischen den Extremen hin und her schwankt, und ultimativ sehr ineffektiv wirkt. Was also muss passieren? Die Antwort drängt sich gewissermaßen auf.
Die Lösung: Fokus
Wenn wir zu Anfang unseres Prozesses Management-Aufmerksamkeit als Engpass identifiziert haben, ist der logische nächste Schritt der Theory of Constraints: Entscheide, wie der Engpass optimal ausgenutzt werden kann.
Wäre der Engpass des Unternehmens ein bestimmtes Team, würden wir sicherstellen, dass es keine Zeit auf Aufgaben verschwendet, die nicht zum erwünschten Unternehmensziel führen. Mit Management-Aufmerksamkeit verhält es sich nicht anders: damit sie möglichst effizient „arbeitet“, braucht sie bei jeder Entscheidung den nötigen Fokus. Doch Fokus worauf?
Wir wissen bereits, was unser Ziel ist: nachhaltige Stabilität und langfristiges Wachstum. Um die beiden angeblich gegensätzlichen Ziele zu bedienen, bietet uns Rami Goldratt ein einfaches Rezept. Wir müssen uns auf unseren Wettbewerbsvorteil fokussieren und ihn
- aufbauen
- ausnutzen
- erhalten
Dabei ist wichtig: dies ist ein fortlaufender Prozess! Auch hier gilt: Trägheit darf nicht Überhand nehmen. Hat das Unternehmen einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil aufgebaut, nutzt es diesen als Sprungbrett, um den nächsten Schritt vorzubereiten. Nur so kann es sich am Markt langfristig behaupten, denn die Konkurrenz wird ihm unweigerlich auf den Fersen sein.
Hindernisse beseitigen, nicht überwinden
Natürlich treffen wir hier wieder auf die zuvor bereits erwähnten schädlichen Verhaltensmechanismen. Wir befinden uns nun bei Schritt 3 der 5 Fokus-Schritte: Ordne alles andere dieser optimalen Nutzung unter. Anstatt uns aber wie in der Vergangenheit von Konflikten aufreiben zu lassen, gilt es nun, diese Mechanismen endgültig zu beseitigen.
Die Anleitung dazu folgt aus den bereits angesprochenen schädlichen Auswirkungen:
1. Lokale Optima mit globalen Optima in Einklang bringen
2. Sicherheiten (Puffer) managen – es kann nicht Gewissheit auf Ungewissheit gezwängt werden
3. Kernkonflikte auflösen, ohne Kompromisse einzugehen
Dies ist kein einfacher Prozess, denn es geht dabei um einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel von tief sitzenden Verhaltensweisen. Doch hierbei helfen uns ebenfalls die Werkzeuge der Theory of Constraints.
Schritt 4 – Erweitere den Engpass – sollten wir erst in Erwägung ziehen, wenn die vorherigen Schritte erfolgreich durchgeführt wurden. Zwar kann man weiteres Management-Personal einstellen, doch sind die Grundkonflikte im Unternehmen nicht behoben, werden diese zusätzlichen Arbeitskräfte nur wenig positiven Effekt auf die Produktivität haben.
Haben wir alle Schritte erfolgreich durchgeführt, werden wir vielleicht gar feststellen, dass der Engpass sich von der Management-Aufmerksamkeit verschoben hat: nun beginnt der Prozess von neuem. Auf keinen Fall dürfen wir Trägheit zum Engpass des Systems werden lassen (Schritt 5).