Das Thema Strategie und Taktik wurde auf diesem Blog bereits mehrmals angeschnitten. Sie sind im Change Management ein heißes Thema, denn sie sind einer der Grundpfeiler effektiver Verbesserungsinitiativen im Unternehmen. Und doch bleiben sie für viele Manager und Unternehmensführer abstrakt und beängstigend.
Die Implementierung der fertigen S&T ist dabei noch verhältnismäßig einfach. Doch wie gelangt das Unternehmen erst mal dahin? Wie entscheiden Sie, wohin sich Ihr Unternehmen entwickeln soll oder kann? Worauf müssen Sie achten? Und wozu brauchen Sie überhaupt Veränderung? Es läuft doch alles!
Diese und andere Fragen sucht die vorliegende Artikelserie zu beantworten, basierend auf einem Vortrag von Eli Schragenheim aus Juni diesen Jahres.1
Schritt 1: Brauche ich überhaupt Veränderung? Läuft doch alles ganz gut!
Hat sich ein Unternehmen in seiner Branche einen Markanteil gesichert, der ihm ein einigermaßen stabiles Überleben ermöglicht, dann besteht oft wenig Anreiz, große und tiefgreifende Veränderungen zu wagen. Veränderung ist immer mit Risiko verbunden, und warum etwas riskieren, wenn das Unternehmen ganz gut läuft?
Dies ist aus mehrerer Hinsicht eine gefährliche Einstellung. Die meisten Branchen, so erklärt Eli Schragenheim, befinden sich in Stagnation. Die Wettbewerber teilen die existierenden Kunden unter sich auf, imitieren sich gegenseitig und unterscheiden sich allenfalls minimal. Schragenheim nennt es Deadlock – ein Patt. Jeder kauert in seiner Ecke und behält ein Auge auf die Konkurrenz. Große Innovationen fehlen; der Fokus liegt darauf, zu überleben, anstatt substantiell zu wachsen.
Doch das geht nur so lange gut, bis irgendjemand das Patt bricht und die gesamte Branche mit einer bahnbrechenden Veränderung über den Haufen wirft. Wenn dieser Jemand nicht Sie sind, dann gehört Ihr Unternehmen zu denen, die anschließend panikartig versuchen, den Anschluss zu behalten – und damit haben Sie schon so gut wie verloren. Ein prägnantes Beispiel dieser Entwicklung sind die Billigfluggesellschaften, – Ryanair voran – die die Luftfahrt in Europa grundlegend verändert haben und nun jahrzehntelang etablierte Unternehmen wie Lufthansa und British Airways vor sich hin jagen.
Schnell offenbart sich hier ein weiteres Argument, nicht in Bequemlichkeit zu verharren – und eine häufige Fehleinschätzung vieler Manager: tiefgreifende Veränderung ist für ein gesundes Unternehmen viel leichter zu stemmen, als wenn es bereits ums Überleben kämpft. „Warum sollten wir etwas verändern, wenn es uns gut geht?“ ist die falsche Frage. Gerade, weil das Unternehmen gut da steht, sollte es diese solide Basis ausnutzen, sich weiterzuentwickeln und zu wachsen. Die geringe Erfolgsrate vieler Veränderungsinitiativen liegt oft auch daran, dass Unternehmen erst dann Veränderung wagen, wenn es wirklich nicht mehr anders geht – und dann ist es oft schon zu spät.
Schritt 2: Nun gut. Und wo fange ich jetzt an?
Sind Sie bereit, das Patt zu brechen und Ihre Branche aufzurühren? Der erste Schritt ist getan! Doch nun geht es ans Eingemachte, denn Sie müssen herausfinden: Wie kann sich Ihr Unternehmen von der Konkurrenz abheben?
Schragenheim nennt das, was Sie brauchen, einen Entscheidenden Wettbewerbsvorteil (EWV). Dieser muss eine Reihe Kriterien erfüllen, um zu nachhaltigem Erfolg zu führen:
- Der EWV muss Ihren Kunden einen bedeutenden und einzigartigen (Mehr-)Wert bieten.
- Der Kunde muss diesen Wert auch erkennen und schätzen.
- Ihre Konkurrenten sind nicht in der Lage, diesen EWV (in absehbarer Zukunft) anzubieten.
- In allen anderen Aspekten ist Ihr Unternehmen mit der Konkurrenz gleichgestellt.
Diesen EWV zu finden, kann durchaus erschreckend und riskant wirken. Es gibt so viele Variablen! Sie können den Markt nicht vorhersagen. Was, wenn es schief geht? Doch wenn Sie Ihre Recherche und Vorbereitung ernsthaft genug betreiben, können Sie mit entsprechend höherer Wahrscheinlichkeit ein Risiko minimieren oder sogar ganz ausschließen.
Mit den Augen des Kunden sehen
Um Ihren EWV zu finden, ist es sehr wichtig, dass Sie mit Ihrem Kunden vertraut sind und Ihre Produkte oder Dienste aus seinen Augen beurteilen können. Braucht der Kunde das? Weiß er es auch? Sie können ein noch so tolles Produktfeature haben – wenn es außer Ihren Entwicklern niemand zu würdigen weiß, werden Sie Schwierigkeiten haben, es an den Mann zu bringen – geschweige denn, damit die Konkurrenz hinter sich zu lassen.
Haben Sie jedoch ein wirklich durchschlagendes Argument, wird es ein Leichtes sein, die Kunden von Ihrer Überlegenheit zu überzeugen. Ein markantes Beispiel, wie Eli Goldratt, Begründer der Theory of Constraints, einen solchen Wettbewerbsvorteil ausmachen konnte, finden Sie in diesem Beitrag. Es ist also durchaus möglich, dass Ihr Wettbewerbsvorteil vor aller Augen liegt – es hat ihn nur noch niemand bemerkt, weil sie den Status Quo nicht hinterfragen.
Die Methoden der Theory of Constraints, wie Critical Chain Projektmanagement und Drum Buffer Rope, bieten Ihnen dabei die ideale Grundlage, um zuverlässige, schnelle Lieferung (Rapid Reliable Response) zum unschlagbaren Wettbewerbsvorteil zu machen. Durch bedeutend verkürzte Produktions- oder Projektlaufzeiten werden Sie die Konkurrenz um Meilen hinter sich lassen, denn schnelle Lieferung ist für viele Kunden ein sehr wichtiges Bedürfnis – das sie aber aus bitterer Erwartung gar nicht zu erwarten wagen. Auf das Thema Rapid Reliable Response werden wir auf diesem Blog demnächst tiefer eingehen.
Bedenken Sie aber auch potentielle negative Nebeneffekte Ihres EWV und überlegen Sie, wie Sie diesen begegnen können. Zum Beispiel: Sie haben eine viel leistungsfähigere Software entwickelt, die dem Kunden Zeit und Geld spart – doch muss er dazu erst seine Mitarbeiter aufwändig umschulen. Bieten Sie passende Kurse oder Handbücher an? So können Sie Ihr Angebot entsprechend anpassen oder Argumente entwickeln, um etwaigen Einwänden des Kunden zu begegnen (z.B.: „Der anfängliche Mehraufwand ist bereits nach 3 Monaten wieder eingespart…“).
Denken Sie auch noch einen Schritt weiter als Ihre direkten Kunden: wer ist der Endnutzer Ihres Produkts – oder des Produkts, in das Ihr Bauteil integriert wird? Bedenken Sie dabei auch die Unterschiede zwischen B2B und B2C. Was ein Unternehmen antreibt, ist etwas anderes als das, was einen Verbraucher zum Kauf motiviert. Ein Unternehmen ist in der Regel darauf ausgerichtet, mehr Durchsatz zu erreichen und die Kosten niedrig zu halten. Aber: die Individuen innerhalb des Unternehmens, mit denen Sie zu tun haben, sind vielleicht nicht von so rationalen Motiven getrieben. Auch dies spielt eine Rolle!
Was bedeutet „Wert“?
Ihr Marktvorteil ist etwas, das dem Kunden einen bedeutenden, erkennbaren Mehrwert bietet. Es ist daher wichtig, dieses Konzept des „Wertes“ genau zu verstehen. Wert bedeutet je nach Umständen jeweils anderes. Eli Schragenheim unterscheidet zwischen drei Hauptkategorien:
- Ein praktisches Bedürfnis zu erfüllen – oder, um es in Eli Goldratts Worten zu sagen: „eine bestehende Beschränkung [zu] beseitigen oder verringern.“ Hier besteht der Wert darin, ein Problem zu lösen. Der eigentliche Geldwert des Produkts wird bestimmt durch ähnliche auf dem Markt erhältliche Produkte. Dies ist im B2B-Feld meist das Hauptkriterium, anders als die nächsten beiden Kategorien.
- Den Status des Besitzers zu erhöhen. Das Produkt wird vom Umfeld geschätzt und macht so eine Aussage über den Besitzer. Dabei geht es um finanziellen Status (z.B. mit einer Rolex) ebenso wie subtilere Aussagen über „Stammeszugehörigkeit“ (etwa bei gesellschaftlichen Randgruppen wie Goths oder Hippies).
- Das Produkt bereitet dem Besitzer Freude – z.B. Kunst, Schmuck, Urlaub usw. Dies ist ein sehr subjektives Wertempfinden und daher schwer zu quantifizieren. Hier gilt meist: mehr Produktexemplare schaffen zusätzlichen Wert. Kaum ein Kunstliebhaber wird sagen: „Ich hab‘ ja nun ein Bild; das reicht dann mal.“
Sehr hilfreich zur Werteinschätzung Ihres Produkts oder Services sind auch die Sechs Technologiefragen von Dr. Goldratt, die auf diesem Blog bereits behandelt worden sind. Eli Schragenheim benutzt sie dabei vor allem für die Beurteilung der ersten Kategorie: ein praktisches Bedürfnis zu erfüllen. Es lohnt sich, die sechs Fragen in Bezug auf Ihr vorgeschlagenes Produkt oder Feature durchzugehen.
Die SWOT-Analyse à la Theory of Constraints
Die SWOT-Analyse (Stärken, Schwächen, Chancen und Gefahren) ist ein altbekanntes Marketingtool, das sehr hilfreich dabei sein kann, die eigene Position im Markt zu ermitteln und eine Strategierichtung zu definieren. Der Ansatz der Theory of Constraints ist dabei weitreichender und ganzheitlicher als der traditionelle – dies wurde hier schon ganz kurz angesprochen in den Anwendungen und Entwicklungen der S&T. Auch Eli Schragenheim schätzt den Nutzen von SWOT bei der Entwicklung einer Unternehmensstrategie.
Die Stärken des Unternehmens sieht Schragenheim nicht begrenzt auf die bestehenden Vorteile des Produktes gegenüber der Konkurrenz, sondern vor allem als die einzigartigen Fähigkeiten, auf die das Unternehmen aufbauen oder die es schnell entwickeln kann. Was können Sie besser als andere? In dieser Richtung liegt Ihr EWV.
Dabei ist es sehr hilfreich, eine allgemeine Unternehmenskultur des Lernens zu pflegen: selbst wenn Sie etwas aktuell nicht leisten können, ist das kein Problem, wenn Sie die Art Leute zur Verfügung haben, die gerne neue Fähigkeiten entwickeln können und wollen.
Die Schwächen aus der Sicht der TOC sind das Gegenteil davon: welche Aspekte Ihres Unternehmens hindern Sie daran, mehr zu leisten und Ihr Ziel zu erreichen, und – besonders wichtig – was können Sie dagegen tun? Hier befinden Sie sich also auch in einer befähigenden Einstellung anstatt einer beschränkenden. Schwächen sind nichts Unvermeidbares, das Sie irgendwie umgehen müssen, sondern etwas, das Sie verbessern können: entsprechende Strategien helfen Ihnen dabei, sie zu beseitigen.
Die Chancen erschaffen Sie, indem Sie Ihre oben erwähnten Stärken mit einem entsprechenden Bedürfnis im Markt „zusammenführen.“ Der Markt braucht etwas, das nur Sie ihm bieten können: genau hier und nirgendwo anders liegt Ihr EWV! Das dringendste Bedürfnis des Marktes ist nutzlos für Ihr Unternehmen, wenn Sie es nicht besser als alle Konkurrenten erfüllen können. Und genau so kann eine noch so beeindruckende Stärke nutzlos sein, wenn sie niemandem „fehlt“ (hier kann es sich allerdings lohnen, zu erforschen, ob sich in anderen Marktsegmenten ein „passendes“ Bedürfnis findet).
Gefahren sind für Schragenheim v.a. potentiell sich entwickelnde Situationen, die plötzlich signifikante unerwünschte Effekte mit sich bringen könnten – etwa eine neu aufkommende Technologie oder eine Veränderung im Markt. Diese anfänglich unauffälligen Bedrohungen gilt es rechtzeitig zu identifizieren und dazu braucht es Kontrollmechanismen (auf die wir an späterer Stelle zurückkommen werden). Werden Sie von einer Marktentwicklung überrumpelt, ist das ein sicheres Anzeichen, dass Sie Ihr Umfeld nicht ausreichend verstanden haben. Analysieren Sie die Situation und ziehen Sie Ihre Lektionen für die Zukunft draus.
Im zweiten Teil dieser Serie erfahren Sie, worauf Sie bei der Vorbereitung und Implementierung der eigentlichen Strategie und Taktik achten müssen, die Sie schlussendlich zu Ihrem Entscheidenden Marktvorteil führen werden.
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1: Introduction to Strategy – Much more than the S&T, Eli Schragenheim 2015 TOCICO Webinar