

Steve Holt
Ein Unternehmen, das sich weiterentwickeln will, ist immer Risiken ausgesetzt und hat mit Widerständen zu kämpfen. Doch wie lassen sich diese so weit wie möglich verringern? Wie schaffen Sie gar die Voraussetzungen für ein Unternehmen, das sich stets proaktiv verbessert?
Steve Holt stellte in seinem Vortrag1 bei der diesjährigen TOCICO-Konferenz einige Ansätze vor, wie Unternehmen konsequent Veränderungsinitiativen zum Erfolg führen können.
Paradigmen umstürzen: der Sprung ins Unbekannte
Bei tiefgreifenden Veränderungsinitiativen ist es oft ein bedeutender Teil des Prozesses, ungültige Annahmen zu identifizieren und zu ersetzen, die im Unternehmen seit vielen Jahren Gesetz sind. Dass das kein leichtes Unterfangen ist, versteht sich von selbst.
Lernprozesse in Unternehmen erfolgen in zwei „Schleifen“. Holt spricht von „double loop learning“, basierend auf einer Studie von Chris Argyris2. In der ersten – weithin üblichen – Schleife werden Probleme innerhalb der existierenden Paradigmen gelöst. Hier besteht also immer nur ein recht beschränktes Verbesserungspotential – Sie bewegen sich innerhalb bekannter Parameter.
Die zweite Schleife stellt die existierenden Paradigmen selbst in Frage und ersetzt sie durch neue, bessere (doch derzeit noch unbekannte). Nur so können wirklich bahnbrechende Verbesserungen erreicht werden. Holt nennt dies auch das „unbekannte Unbekannte“ („unknown unknowns“, basierend auf der bekannten Rede Donald Rumsfelds nach der Irak-Offensive 2002).
Die von Holt vorgeschlagene Darstellung der verschiedenen Optionen bietet einen sehr guten Ansatz, jegliche Situation und das, was Sie darüber wissen (oder zu wissen glauben) und nicht wissen zu analysieren. Hier findet sich auch die von Eli Goldratt so geschätzte Maxime „Sag niemals ‚das weiß ich‘“ wieder, einer der Grundpfeiler der Theory of Constraints.
Eigene Darstellung basierend auf Steve Holt: Complacency, intuition, weak signals.3
Paradigmenwechsel geht nur gemeinsam
Dergleichen grundlegende Paradigmenwechsel sind nicht leicht umzusetzen und stoßen verständlicherweise auf Widerstand. Sie müssen also überzeugend „an den Mann“ (oder die Frau) gebracht werden – ohne sie von oben zu diktieren oder die Vorbehalte der Mitarbeiter zu ignorieren. Denn ohne die Unterstützung und aktive Mitwirkung aller Mitarbeiter werden Sie signifikante Probleme haben, eine Veränderungsinitiative durchzuführen. Um dies zu vermeiden, braucht es zweierlei: Wissen und Vertrauen.
Wissen
Veränderungsinitiativen, deren Sinn nicht verstanden wird, haben eine weit geringere Erfolgschance. Ein Mitarbeiter, der nicht nachvollziehen kann, wieso er seine Verhaltensweisen ändern soll, wird dazu verleitet sein, Kennzahlen zu manipulieren, die neu eingeführten Maßnahmen zu sabotieren oder bestenfalls halbherzig in seinen Alltag zu integrieren.
Es ist daher wichtig, bedeutende Veränderungsinitiativen nicht nur zu verkünden, sondern auch (in entsprechenden Workshops und Schulungen) für alle schlüssig zu erklären. Scheuen Sie nicht vor dieser anfänglichen Zeitinvestition zurück – sie wird sich um ein Mannigfaltiges auszahlen!
Informierte Mitarbeiter bieten Ihnen nämlich noch eine weitere Stärke: eigene Ideen! Wenn Ihre Leute die Strategie des Unternehmens und die Logik dahinter genau kennen, dann können sie auch selbst wertvolle Vorschläge einbringen. Auch Kritik kann hilfreich sein und sollte nicht ignoriert werden! Hier kommt der zweite Faktor ins Spiel:
Vertrauen
Ideen, Experimentierfreudigkeit und Lernfähigkeit sind sehr wertvolle Faktoren für ein erfolgreiches Unternehmen. Doch in den meisten Umgebungen wird Innovation viel zu wenig gefördert. Gute Ideen kommen nicht nur aus den oberen Führungsebenen, sondern oft von genau den Leuten, die mit dem Alltag Ihres Betriebes vertraut sind. Die Intuition und Einsichten dieser „Bodentruppen“ sind nicht zu unterschätzen. Doch damit die Mitarbeiter ihre Ideen mit Ihnen teilen, müssen sie sich sicher sein, dass sie geschätzt und ernst genommen werden.
Um eine derartige Unternehmenskultur zu pflegen, können Sie zum Beispiel regelmäßige Workshops veranstalten oder feststehende Feedback-Mechanismen einführen. Diese können in die normalen Leistungsbeurteilung der Mitarbeiter eingebaut sein: Feedback fließt dann in zwei Richtungen.
Steve Holt empfiehlt Methoden wie Crawford Slip (Link in Englisch) oder ein „Pre-Mortem“ vor Initiativen oder Projekten, damit Mitarbeiter ihre Bedenken durchspielen können. Beim Pre-Mortem gehen Sie von der Prämisse aus, dass das Projekt spektakulär gescheitert ist und „sezieren“ die Gründe. So können Mitarbeiter ihre „das kann ja eh nichts werden“-Vorbehalte in einem sicheren Umfeld zum Ausdruck bringen.
Wichtig ist in einem solchen Umfeld aber auch, dass gelegentliches Scheitern nicht zu Schuldzuweisungen und negativen Konsequenzen für die Mitarbeiter führt, sondern als Teil des Verbesserungsprozesses verstanden wird: auch durch Fehler können Sie lernen! Dazu müssen Sie sie natürlich sorgfältig analysieren und die Gründe erforschen, die zum Scheitern führten.
Sie gehen also einen Schritt weiter als halbherzige Zusicherungen, dass dem Mitarbeiter nicht angelastet wird, wenn sein Vorschlag nicht zu den versprochenen Resultaten führt. Stattdessen vermitteln Sie glaubhaft, dass Fehleinschätzungen auch ihr Gutes haben, indem sie Ihnen zusätzliches Wissen vermitteln.
Schutz vorm Desaster
Eine solch offener Innovationswillen hat natürlich auch eine Kehrseite: die Sicherheit des Unternehmens dürfen Sie dabei nicht aufs Spiel setzen. Hier bietet Holt daher einige weitere Wegweiser an.
Schwache Signale orten
Ein sorgfältiger Monitoring-Mechanismus sollte in jedem Unternehmen eine Selbstverständlichkeit sein, um auf Veränderungen im Markt, beim Wettbewerb und natürlich auch im eigenen Betrieb rechtzeitig zu reagieren. Bei anspruchsvollen Verbesserungsinitiativen ist dies besonders wichtig, damit Sie Ihre Strategie bei Bedarf anpassen können. Selbst schwache Signale sollen dabei nicht ignoriert werden, mahnt Holt. Dabei kann Ihnen wiederum die Intuition Ihrer Mitarbeiter eine wertvolle Stütze sein: da Menschen sehr gut darin sind, Muster zu erkennen, werden sie oft intuitiv erkennen, wenn etwas im gewohnten Umfeld nicht stimmt.
Risiken abschätzen
Bevor Sie eine Maßnahme durchführen, die mit Risiko verbunden ist, analysieren Sie, wie hoch dieses Risiko ist und ob Ihr Unternehmen es verkraften kann. Holt spricht vom „Waterline“-Konzept: Schüsse über der Wasserlinie Ihres „Unternehmensbootes“ sind zwar ärgerlich, doch nicht dramatisch: sie lassen sich flicken, bevor Wasser eintritt. Unter der Wasserlinie hingegen geht es schnell nach unten – dergleichen Risiken sollten also wenn möglich vermieden werden. Sind sie doch unvermeidbar, dann stellen Sie sicher, dass Sie ein Erste-Hilfe-Kit (einen Plan B, zusätzliche Sicherheiten…) vorbereitet haben.
Überraschungen analysieren
Ist ein gründliches und funktionelles Überwachungssystem vorhanden, dann sollte Sie eigentlich nichts überraschen, da Sie die ersten Anzeichen vorgewarnt haben. Wurden Sie dennoch von etwas Unvorhergesehenem überrumpelt, dann gilt wieder: Gründe erforschen, Konsequenzen ziehen, es beim nächsten Mal besser machen. Das gleiche Prinzip gilt bei „Beinahe-Unfällen“: selbst, wenn kein Schaden entstanden ist, sollten Sie die Gelegenheit nutzen, aus der Erfahrung etwas dazuzulernen.
Mit den vorgeschlagenen Methoden werden Verbesserungsinitiativen in Ihrem Unternehmen nicht nur zu größerem Erfolg führen, sondern zu einem integralen Bestandteil der Unternehmenskultur, der von allen Mitarbeitern gerne mitgetragen und gar aktiv gefördert wird. Dabei schaffen Sie wie nebenbei auch ein für alle angenehmeres Arbeitsumfeld!
_________
1: Succeeding in a Complex World: Practices to Enable Continued Superior Performance, TOCICO 2015
2: “Double Loop Learning in Organizations” Harvard Business Review, Sept/Oct 1977
3: Succeeding in a Complex World: Practices to Enable Continued Superior Performance, TOCICO 2015, Folie 14