
Jeder, der schon einmal einer Gruppe – sei es im beruflichen oder privaten Umfeld –eine Veränderung vorgeschlagen hat, kennt wahrscheinlich das entmutigende Gefühl, wenn sich die Begeisterung in Grenzen hält und die unvermeidlichen Einwände einprasseln.
Es ist frustrierend, eine (der eigenen Meinung nach gute) Idee vorzustellen und Ablehnung oder allenfalls lauwarme „ja, aber“-Reaktionen zu ernten. Selbst eine Win-Win-Lösung, die darauf achtet, dass alle Parteien gewinnen und keine unerwünschten Nebenwirkungen auftreten, wird nicht zwangsläufig mit offenen Armen empfangen
Sieben Schichten vom Problem zur Lösung
Der Widerstand gegen Veränderungen durchläuft mehrere „Schichten“, die sich durch die verschiedenen Phasen des Veränderungsprozesses ziehen, von der Identifikation des Problems bis zur Implementierung der erarbeiteten Lösung. Diese können sich von Fall zu Fall leicht unterscheiden und unterschiedlich schwer ins Gewicht fallen, doch im Allgemeinen werden 6-7 Schichten hervorgehoben:
Was soll geändert werden?
- Schicht 0: Es gibt kein Problem.
Läuft doch alles gut! - Schicht 1: fehlende Übereinstimmung (Einigkeit und Verständnis) hinsichtlich des Problems.
Was ist denn das Problem? oder Ist das mein Problem?
Wohin soll die Veränderung führen?
- Schicht 2: fehlende Übereinstimmung (Einigkeit und Verständnis) hinsichtlich der Lösungsrichtung.
Und das soll unser Problem lösen? - Schicht 3: fehlende Übereinstimmung, dass die Lösung die Schwierigkeit tatsächlich beseitigen wird.
Das bringt doch nichts. Das wird doch nie was. - Schicht 4: Befürchtung, dass die Lösung zu neuen unerwünschten Nebeneffekten führt.
Ja, aber…
Wie soll die Veränderung verursacht werden?
- Schicht 5: fehlende Klarheit darüber, wie die Stolpersteine auf dem Weg zur Umsetzung der Lösung überwunden werden können.
Das schaffen wir nie! - Schicht 6: fehlende Mitwirkung trotz erfolgter Zustimmung.
Warum passiert hier nichts?
Widerstände als Chance erkennen
Es ist verleitend, Menschen als Nörgler, dickköpfig oder gar begriffsstutzig abzutun, die Einwände erheben. Dabei sind die Sorgen der Mitarbeiter oft legitim oder zumindest auf Basis der vorhandenen Informationen nachvollziehbar: vielleicht ist ihnen ihr Gewinn im Falle einer Veränderung nicht klar, sie haben Angst vor unvorhersehbaren Folgen oder haben in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass Veränderungsinitiativen im Sand verliefen und reine Zeitverschwendung waren.
Diese Einwände einfach beiseite zu wischen, hat fatale Folgen: die Mitarbeiter klinken sich aus oder widersetzen sich der vorgeschlagenen Veränderung gar aktiv, und vor allem: das Unternehmen verpasst das Potential einer wahrhaftigen Verbesserung. Einwände und Vorbehalte können eine Veränderungsinitiative nur stärken, wenn sie in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten proaktiv durchgearbeitet und effektiv bearbeitet und beseitigt werden.
Die Reihenfolge, wie die Schichten bearbeitet werden, spielt dabei durchaus eine Rolle. Wie bei der Haut einer Zwiebel, erklärt Efrat Ashlag-Goldratt1, arbeiten Sie sich von außen nach innen vor. Es hat keinen Sinn, über die Lösung zu reden, bevor sich alle einig sind, was das eigentliche Problem ist. Eine strukturierte Vorgehensweise wird zudem die Diskussion in fokussierte und damit produktive Bahnen lenken. Schließlich geht es nicht darum, sich gegenseitig mit Argumenten „aus dem Spiel“ zu befördern, sondern alle Parteien wollen gemeinsam zu einem für das Unternehmen vorteilhaften Ziel gelangen.
Eigene Darstellung basierend auf Efrat Ashlag-Goldratt, The basic Layers of Resistance based on the TOC questions of change2
Schicht 0: Einigkeit über die Existenz des Problems
Selbst wenn Ihnen die Symptome des Problems ganz unübersehbar ins Auge stechen: andere werden das nicht zwangsweise genauso sehen. Menschen und Systeme sind überaus geübt darin, lang anhaltende Probleme nicht mehr zu bemerken. Wenn alle davon ausgehen, dass es sowieso nicht zu beheben sei, entwickeln sie Umwege und Übergangslösungen, um es zu umgehen. Das Problem wird zum Normalzustand und praktisch unsichtbar.
Die negativen Auswirkungen (sichtbaren Symptome) bilden hier einen Ansatz, um den anderen anhand von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen das Problem sichtbar zu machen. Auch kann es hilfreich sein, die Ziele des Unternehmens ins Bewusstsein zu rufen: werden sie so schnell wie gewünscht erreicht? Falls nein, warum ist das so?
Vor allem aber sollten Sie der anderen Seite zuhören und verstehen, wie sie zu ihrem Schluss kommt. Auf welchen Annahmen basiert ihre Überzeugung, dass es kein Problem gibt? Können diese Annahmen untersucht und auf ihre Gültigkeit geprüft werden? Auf diese Weise können Sie Ihr Gegenüber an die Realität heranführen, dass tatsächlich ein Problem besteht. Nun gilt es, es gemeinsam zu definieren.
Schicht 1: Einigkeit über das zu behandelnde Problem
Selbst wenn sich alle Parteien über die Existenz des Problems einig sind, heißt das noch lange nicht, dass sie auch vom gleichen Problem reden. Die eigene Funktion im Unternehmen (welchen Symptomen des Problems man im Alltag begegnet), Erfahrung (mit welchen Problemen man in der Vergangenheit kämpfen musste) oder Erwartungen (welche Ziele man verfolgt) bestimmen das Bild, das man sich vom Problem macht. Damit aber bei der Lösungsfindung nicht alle Seiten aneinander vorbei reden, ist es wichtig, die Natur des Problems klar zu definieren.
Auch ist es oft schwierig, von den disparaten Symptomen, die der Einzelne spürt, auf die gemeinsame Grundursache zu schließen. Es droht die Gefahr, dass nur lokal an Symptomen herumgedoktert wird und der Kernkonflikt weiter besteht. Die Vorteile der Problemlösung sind den Beteiligten in so einem Fall auch oft unklar: die Veränderung ist dann kaum das Risiko wert.
Quelle: Uwe Techt, Gegenwartsbaum3
Hier bietet der Gegenwartsbaum ein hilfreiches Tool, um die Ist-Situation darzustellen und anhand der unterliegenden Ursache-Wirkungs-Verhältnisse (Sufficient-Cause-Logik) den Grundkonflikt zu identifizieren. So kann die Verbindung zwischen einzelnen, scheinbar unzusammenhängenden Auswirkungen gemacht werden und die gemeinsame Ursache gefunden werden.
Sind sich alle über die Natur des Problems einig, können Sie zur Lösungsfindung übergehen. Die verbleibenden fünf Schichten behandeln wir im nächsten Beitrag.
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1: Efrat Ashlag-Goldratt (2010), S. 573
2: Ibidem
3: Uwe Techt (2006), S. 166
Quellen:
Efrat Ashlag-Goldratt, “The Layers of Resistance — The Buy-In Process According to TOC” aus dem Buch Cox III, James F., und Schleier Jr., John G., Hgg. Theory of Constraints Handbook. New York: The McGraw-Hill Companies Inc., 2010. S. 571-584
Francis S. Patrick, Using Resistance to Change (and the TOC Thinking Processes) to Improve Improvements, 2005
Uwe Techt, Goldratt und die Theory of Constraints, Lulu Press , 2006