Gastbeitrag von Eli Schragenheim
Alfonso Navarro, ein Experte der Theory of Constraints aus Kolumbien, äußerte kürzlich die Sorge, dass in der TOC-Gemeinschaft oft, wenn jemand eine Methode in Frage stellt, wesentliche Veränderungen vorschlägt oder eine grundsätzlich neue Idee hat, die Antwort kommt, „Das ist nicht TOC!“ Er meinte, dies könne Leute davon abhalten, neue Ideen und Methoden einzubringen – was der TOC ultimativ schadet.
Zuerst gilt es, zu definieren, was tatsächlich TOC ist
Bei der Theory of Constraints geht es grundsätzlich darum, menschliche Systeme – ich werde sie hier „Organisationen“ nennen – zu managen. Ich beschäftige mich also ausschließlich mit der TOC als Ansatz, Organisationen zu managen. Wie jedes andere Forschungsfeld auch, basiert die TOC auf mehreren Grundsätzen. Damit sie beim Management einer Organisation überhaupt erst wirken kann, müssen meines Erachtens zwei kritische Voraussetzungen erfüllt sein:1. Die Organisation hat ein klares ZIEL, auf das sich alle einigen können
- In der Regel hängen hiervon eine Reihe notwendiger Bedingungen ab, die ebenfalls erfüllt sein müssen. Sind diese allerdings bereits gegeben, besteht kein Bedarf, mehr von diesen Bedingungen zu erreichen.
- Beispiele solcher Bedingungen wären Mitarbeiterzufriedenheit sowie Zufriedenheit und Vertrauen der Kunden.
2. Die Arbeitsweise der Organisation ist NICHT CHAOTISCH.
In meinen Augen hat eine Organisation eine chaotische Arbeitsweise, wenn sie hohe Ungewissheit bei der Leistung an den Kunden aufweist. Wenn eine Bestellung genauso gut morgen oder erst in drei Monaten geliefert werden könnte (und selbst dieser Termin ist nicht garantiert), dann befindet sich eine Organisation im Chaos. Eine derart chaotische Organisation wird nicht lange überleben und ich bezweifle, dass die TOC sie vor dem Untergang retten kann. Chaos in einer Organisation entsteht meist als Folge mehrerer interaktiver Engpässe, die plötzlich auftauchen. Die meisten Organisationen beseitigen chaotische Situationen recht schnell, indem sie Kapazitäten erweitern, sobald sie die ersten Anzeichen erhöhter Unregelmäßigkeiten in der Lieferung ausmachen. Die anderen gehen unter.
Die beiden genannten Voraussetzungen sind nicht überall gegeben, doch sind sie absolut notwendig, damit der TOC-Ansatz überhaupt greifen kann. Mir sind Organisationen untergekommen (in der Regel gemeinnützige), bei denen zwischen mächtigen Führungspersönlichkeiten grundsätzliche Differenzen bestanden, welches Ziel sie hätten und wie es zu messen sei. Zahlreiche Universitäten existieren in einem ständigen internen Kampf zwischen unterschiedlichen Forschungsfeldern oder zwischen Forschung und Lehre. Viele Einrichtungen im Kulturbetrieb stehen vor dem gleichen Problem: ein ständiges Hick-Hack bezüglich ihres Ziels und wie es zu messen sei.
Wenn es nicht möglich ist, festzustellen, ob die Leistung letztes Jahr besser, deutlich oder nur geringfügig schlechter war als im Jahr davor, dann kann die TOC leider auch nicht helfen.
Sind beide oben erwähnten Axiome erfüllt, dann kann die TOC eingesetzt werden. Ihr Ziel ist es, erhebliche und nachhaltige Leistungsverbesserung zu erreichen.
Wann ist nun eine Idee “nicht TOC”, obwohl sie Leistungsverbesserung zum Ziel hat?
Wenn logische TOC-Analyse, basierend auf Ursache und Wirkung und den Kategorien der legitimen Vorbehalte, zum Schluss kommt, dass die Idee keinen Nutzen bringt – also nicht zur Leistungsverbesserung führt – oder ernsthafte negative Nebenwirkungen hat, die mehr schaden als nutzen, dann ist die Idee fehlerhaft und man könnte sie als „nicht TOC“ bezeichnen. Persönlich würde ich aber lieber einfach auf die spezifischen Fehler der Idee eingehen, als sie insgesamt „nicht TOC“ zu nennen.
Ursachen und Wirkungen auf ihre Gültigkeit zu prüfen, ist keine exakte Wissenschaft. Sehen Sie dazu meinen anderen Beitrag zu den Denkwerkzeuge und Ungewissheit (Link in Englisch). Wir haben alle irgendwelche Überzeugungen, bei denen wir so tun, als handele es sich um objektive Wahrheit, obwohl wir sie nicht über reine Logik für gültig oder ungültig erklären können. Was zum Beispiel tun, wenn jemand behauptet, dass allmorgendliches Beten zu höherer Leistung führt? Ich bringe ungern Religion ins Spiel, doch möchte ich zeigen, dass reine Logik ihre Grenzen hat, um ein vollständiges und sicheres Urteil über die Gültigkeit einer Idee zur Leistungsverbesserung zu fällen.
Die TOC ist kein unflexibler Monolith
Die TOC hat ihre eigenen Überzeugungen und Beobachtungen, die gesunder Menschenverstand zu sein scheinen und das Denken und die Lösungsfindung der TOC steuern. Die vier Säulen, wie sie Eli Goldratt schon beschrieb, stellen die wichtigsten dar:
Die vier Überzeugungen liegen der fundamentalen Philosophie zugrunde, die die Denkwerkzeuge und Methoden der TOC möglich macht. Trotzdem sind die vier Säulen nicht vollkommen unumstößlich: selbst wenn eine von ihnen in einer bestimmten Umgebung nicht erfüllt sein sollte, kann die TOC trotzdem anwendbar sein.
Wenn ich zum Beispiel eine Umgebung sehe, die nicht einfach und harmonisch aussieht, dann sollte ich zwar weiterhin versuchen, die versteckte Einfachheit zu finden. Ich sollte aber mit meinen Verbesserungsansätzen nicht unbedingt warten, bis ich sie gefunden habe, sondern mit dem, was ich habe, mein Bestes versuchen. Das Gleiche gilt, wenn ich einem Konflikt gegenüberstehe, den ich augenscheinlich nicht auflösen kann. Ich weiß zwar, meine Lösung wird beschränkt sein, doch ist sie die beste, die ich unter den Umständen bieten kann.
Die Überzeugung, dass „Menschen gut sind“, muss man relativieren, denn als allgemeine Wahrheit kann ich sie nicht akzeptieren. Doch als anfänglicher Leitfaden ist sie sehr nützlich. Wenn wir davon ausgehen, dass Menschen gut sind, dann können wir ihre Perspektive und ihre Interessen nachvollziehen und ihre Verhaltensweisen in einer bestimmten Situation verstehen. Dies hilft uns dabei, einen Konflikt zu entschlüsseln, wenn wir etwas gegenüberstehen, das uns missfällt. Daraufhin wird es uns dann leichter fallen, zu beurteilen, ob eine bestimmte Person gut ist oder nicht.
Die Aussage „das ist nicht TOC“ hat keine Relevanz bei der Beurteilung einer Idee und sollte daher innerhalb der TOC-Gemeinschaft nicht verwendet werden. Mir ist es gleichgültig, ob eine Idee auf Basis von TOC-Tools und Richtlinien entwickelt wurde oder nicht. Wichtig ist, zu erkennen, dass die derzeitigen TOC-Werkzeuge keine Garantie für eine durschlagende Idee sind! Die TOC mag uns in die richtige Richtung leiten, doch können wir trotzdem daneben liegen. Mit den Worten Eli Goldratts: Sag niemals ‚Ich weiß‘!
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Quelle: http://elischragenheim.com/2015/12/04/the-boundaries-of-toc-or-what-is-not-toc/