Das Thema „Flow“ begleitet uns immer wieder – sicher haben Sie auch schon auf diesem Blog den einen oder anderen Beitrag gelesen. Es handelt sich dabei um den möglichst ungehinderten Fluss der Arbeit durch das Unternehmen. Das Konzept „Flow“ griff auch Dr. Alan Barnard, Geschäftsführer der Goldratt Research Labs, mit einem interessanten Vortrag1 während der letzten TOCICO-Konferenz im September 20152 wieder auf.
Die Basis seines Vortrags waren die vier Flow-Konzepte von Dr. Eliyahu Goldratt, die wir im Folgenden vorstellen werden. Barnard stellte dazu folgende Frage: inwiefern können diese (Anm.: Flow Konzepte) erweitert werden, um sicherzustellen, dass in jedem Unternehmen die richtigen Veränderungen umgesetzt werden, um möglichst effektiv den Flow zu verbessern.
Balance zwischen Angebot und Nachfrage
Die meisten Unternehmen geraten ins Straucheln, wenn Nachfrage und Angebot aus der Balance geraten, und erholen sich dann oft auf Monate oder gar Jahre nicht mehr. Wieso ist das so? Die Antwort findet sich in der Anwendung von Little‘s Law, das (im Produktionsumfeld) besagt:
Work-in-Process (WIP) = Flow-Rate x Flow-Zeit
in anderen Worten:
Flow-Rate (Durchsatz) = WIP / Flow-Zeit
Steigt der Bedarf im Markt auch nur kurzfristig an, während das Angebot nicht mithalten kann, entwickeln sich erhöhte Arbeitslast und verlängerte Lieferzeiten, die das Unternehmen dann mit den gleichen Kapazitäten auch in ruhigeren Zeiten so gut wie nicht mehr aufholen kann. Das gleiche gilt, wenn das Angebot kurzzeitig abfällt und mit dem bestehenden Bedarf nicht mehr mithalten kann.
Eigene Darstellung, basierend auf Alan Barnard, Cumulative Flow Diagrams3
Hier bewahrheitet sich auch wieder die Regel der Antifragilität: ein fragiles System leidet stärker unter negativen Umständen, als es unter positiven gewinnt. Bedarf und Angebot müssen also im Gleichgewicht bleiben können, damit ein Unternehmen sich langfristig auf dem Markt behaupten kann. Dies ist der effektivste Weg, typische Probleme wie verspätete Lieferungen, Rückstände, Unzuverlässigkeit und Abstriche an der Qualität zu beseitigen. Doch wie können wir das erreichen?
Drei Ansätze drängen sich also lt. Dr. Barnard auf,
1. Reduzierung von Komplexität und Ungewissheit
2. Reduzierung des Bedarfs (bzw. kurzzeitiger Bedarfsschwankungen)
3. Erhöhung der Kapazitäten durch Reduzierung der Flow Time
Welcher ist nun der beste? Hier hilft ein Blick in die Vergangenheit der Produktion.
Die vier Flow-Konzepte des Dr. Eli Goldratt
In seinem einflussreichen Artikel Standing on the Shoulders of Giants kam Eliyahu Goldratt zu dem Schluss, dass die Reduzierung von Flow-Verlusten der schnellste und effektivste Weg ist, die Lücken zwischen Angebot und Nachfrage zu schließen. Er basierte sich dabei auf eine ausgiebige Analyse der Ford-Methode und Taiichi Ohnos Toyota Produktionssystem.
Der Hauptgrund, weswegen typischerweise Flow-Zeit verschwendet wird, ist Überproduktion, und dies wurde schon früh erkannt. Henry Ford setzte als Präventionsmechanismus gegen Überproduktion Platz ein: ich höre auf, zu produzieren, wenn hinter meiner Verarbeitungsstelle kein Platz mehr ist, Produkte zu lagern. Dieses System funktioniert sehr gut, so lange das Werk nur ein Fertigprodukt (etwa ein Automodell) produziert, kollabiert aber, sobald eine breitere Produktpalette angeboten wird. Aus diesem Grund verwendete Taiichi Ohno stattdessen Inventar und entwickelte Kanban-Boards: die ‚Größe‘ der Boards (und die Anzahl zu produzierender Teile) wird bestimmt von Nachfrage und Bearbeitungszeit: wie viel muss ich produzieren, um den notwendigen Bedarf innerhalb dieses Zeitraumes zu decken.
Goldratt erkannte, dass auch dieses System irgendwann an seine Grenzen stößt. Ab einer gewissen Anzahl Produkten können die Kanbans nicht mehr zuverlässig vorhersagen, was gebraucht (gekauft) wird und was nicht: es kommt wieder zu Überproduktion einiger Teile und Unterproduktion anderer. Der einzige Mechanismus, der nun bleibt, um die Arbeit (den Flow) im Werk zu kontrollieren, ist Zeit: ich beginne mit der Produktion erst zum entsprechenden Zeitpunkt vor dem Lieferdatum. Um Ungewissheiten abzufangen, benutze ich einen gebündelten Zeitpuffer. Der Pufferverbrauch dient dann auch zur Steuerung der Prioritäten (siehe Puffermanagement).
Aus dieser simplen Entdeckung folgten die vier Flow-Konzepte von Dr. Goldratt:
1. Flow ist das Hauptziel des Betriebes.
2. Dieses Hauptziel soll umgesetzt werden in einen praktischen Mechanismus, um die Produktion dahingehend zu steuern, wann nicht produziert werden soll (Überproduktion vermeiden).
3. Lokale Effizienzen müssen abgeschafft werden.
4. Ein Fokussierungsprozess, um den Flow konstant und ausgeglichen zu halten, muss eingerichtet werden.
Die dreiteilige Artikelserie Die Bedeutung von Flow geht im Detail auf die Konzepte ein und bietet eine gute Basis vor Lektüre des zweiten Teiles dieser Serie. Denn nun stellt Dr. Barnard die allgemeine Gültigkeit der vier Flow-Konzepte in Frage: decken sie wirklich jede Situation? Wo greifen sie zu kurz, wie können sie verbessert werden?
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1: Dr. Alan Barnard und Dr. Andrey Malykhanov: Improving effectiveness and efficiency of FLOW within any environment… What (decision rules) can make the difference?, TOCICO 2015
2: Eine gute Einführung in Dr. Barnards Idee des Flow wurde in unserem Blog auch bereits in einem Dreiteiler behandelt, dessen Lektüre hier empfohlen sei
3: Barnard und Malykhanov: Improving effectiveness and efficiency of FLOW within any environment, Folie 12