
Gastbeitrag von Rudolf Burkhard
Unterstützen unsere herkömmlichen Buchhaltungsmethoden unsere Entscheidungen oder sollten Manager andere Konzepte nutzen? In 5 Situationen wird beschrieben, wie richtige Entscheidungen zu ‚falschen’ Resultaten führen können. Verfolgen Sie unsere Serie über die nächsten fünf Wochen. (Zurück zu Teil 3)
„Rechnungslegung ist immer – in unterschiedlichem Ausmaß – darauf ausgerichtet, Entscheidungen zu ermöglichen (auch wenn Entscheidungsträger oft weitere Informationsquellen hinzuziehen). Hauptzweck der Rechnungslegung ist also die Bereitstellung notwendiger Informationen, um Investitions-, Kredit- und ähnliche Entscheidungen treffen zu können. Der Nutzen jeglicher Information definiert sich in Bezug auf den Zweck, den sie zu erfüllen hat; Ziel der Rechnungslegung ist also, alle relevanten finanziellen Informationen für wichtige Unternehmensentscheidungen zu liefern.“
Aus dem FASB1-Dokument: Statement of Financial Accounting Concepts No. 2 Qualitative Characteristics of Accounting Information1.
4. Das Rechnungswesen sollte es dem Unternehmen ermöglichen, die Rentabilität eines Produkts oder einer Dienstleistung zu beurteilen
Es ist gängige Praxis, den Kostenpunkt eines Produkts oder einer Dienstleistung zu errechnen. Das Ergebnis ist ein recht willkürlicher Betrag, entstanden aus der Entscheidung eines Controllers, wie indirekte Kosten zuzuordnen sind. Zudem steht der Betrag in keinerlei (oder allemal zufälligem) Verhältnis zum Wert, den Kunden dem Produkt beimessen. Eli Goldratt benutzte sein (in TOC-Kreisen) berühmtes P-Q Gedankenexperiment2, um die Kostenannahme und die damit verbundenen Probleme darzulegen3:
Sie sehen hier ein kleines Unternehmen, das zwei Produkte herstellt und verkauft: P und Q. P hat einen Stückpreis von 90€ und Q einen Stückpreis von 100€. Der Bedarf für P liegt bei 100 Stück pro Woche und für Q bei 50 Stück – wenn das Unternehmen liefern kann.
Die beiden Produkte werden aus drei Rohmaterialien RM1, RM2 und RM3 hergestellt. RM2 wird für beide Produkte benötigt. Alle drei Materialien haben den gleichen Kaufpreis von 20 € pro Stück. Für Produkt P wird zudem ein weiteres Zukaufteil benötigt, das 5€/Stück kostet.
Das Werk hat 4 Maschinen – A, B, C und D. Das Werk arbeitet 40 Stunden pro Woche (eine Schicht). Der Einfachheit halber sind die Rüstzeiten gleich null, die Qualität von Arbeitern und Material ist perfekt und Rohmaterialen stehen zu jedem Zeitpunkt zur Verfügung. Die Betriebskosten betragen 6000€/Woche.
Wie in der Grafik zu sehen ist, ist der mittlere Arbeitspfad für beide Produkte der gleiche. Um die notwendigen Fertigteile zu produzieren, muss das Material RM2 auf diesem Pfad erst 15 Minuten lang in Maschine B bearbeitet werden, dann 5 Minuten lang in Maschine C.
RM1 wird erst 15 Minuten lang in Maschine A bearbeitet, dann 10 Minuten lang in Maschine C. Das Ergebnis wird in Maschine D mit dem halbfertigen Produkt aus dem mittleren Pfad sowie dem zugekauften Teil zusammengebaut (15 Minuten), um Produkt P herzustellen.
RM3 wird 10 Minuten lang in Maschine A bearbeitet, dann 15 Minuten lang in Maschine B. Das Ergebnis wird in Maschine D mit dem halbfertigen Produkt aus dem mittleren Pfad zusammengebaut (5 Minuten), um Produkt Q herzustellen.
Wie viel Geld lässt sich in einer Woche in diesem Werk verdienen? Ich empfehle, diese Aufgabe erst selbständig zu lösen, bevor Sie weiterlesen! Wenn Sie es selbst ausrechnen, lernen Sie viel mehr, als wenn Sie einfach nur die Antwort lesen.
Die übliche Vorgehensweise:
Umsatz von 100 P und 50 Q bedeutet ein Einkommen von 14.000€. Hiervon ziehen wir Materialkosten ab (100 RM1, 150 RM2, 50 RM3 und 100 Zukaufteile). Materialkosten betragen also 6.500€/Woche. Betriebskosten sind 6.000€ – also ein Profit von 1.500€.
Falsch! Eine schnelle Kontrolle würde sofort zeigen, dass wir nicht so viel verkaufen können, denn Maschine B ist überlastet. Um alle 150 Produkteinheiten herzustellen, bräuchten wir 3000 Arbeitsminuten, doch uns stehen nur 2400 zur Verfügung (Überstünden wären hier theoretisch möglich, doch nicht über lange Zeit tragbar, und für dieses Experiment wollen wir sie ignorieren).
Nun brauchen wir einen Weg, zu entscheiden, welches der beiden Produkte finanziell vorteilhafter ist. Davon werden wir so viel produzieren, wie wir umsetzen können, und die verbleibende Kapazität nutzen, um so viel wie möglich von dem anderen Produkt zu verkaufen. Doch welches der beiden ist besser? P oder Q?
4 häufig benutzte Entscheidungskriterien:
- Preis: Q hat einen höheren Preis, steht also von dem Standpunkt aus besser da.
- Deckungsbeitrag (Preis minus Materialkosten): auch hier sieht Q besser aus – der Deckungsbeitrag ist 60€, gegenüber 45€ für Produkt P.
- Aufwand: wieder steht Q besser da. Es benötigt nur 50 Minuten Arbeitsaufwand, gegenüber einer Stunde für P.
- Produktkosten: könnten wir auch berechnen – reflektiert in der Regel Punkt c., also den Aufwand, für die Herstellung.
Laut dieser Kriterien ist also Q ganz klar das rentablere Produkt. Lassen Sie uns also ausrechnen, wieviel das Unternehmen verdienen kann!
- Umsatz von Q: 100€/Stück X 50 Stück = 5.000€ / Woche.
- Materialkosten von Q: 40€/ Stück X 50 Stück = 2.000€ / Woche.
- Deckungsbeitrag Q: = 3.000€ / Woche.
- Um 50 Stück von Q zu produzieren, brauchen wir 1500 Minuten der Kapazität von B. Es bleiben 900 Minuten, um P herzustellen. Damit können wir 60 P produzieren.
- Umsatz von P: 90€/ Stück X 60 Stück = 5.400€ / Woche.
- Materialkosten von P: 45€/ Stück X 60 Stück = 2700€/ Woche.
- Deckungsbeitrag P: = 2.700€ / Woche
- Gesamtumsatz: = 5.700€.
- Profit = -300€
Nach herkömmlichen Methoden haben wir alles richtiggemacht – Q ist definitiv das bessere Produkt. Trotzdem machen wir mit unserem kleinen Unternehmen keinen Gewinn. Ist es die Konkurrenz? Oder etwas Anderes?
Wir wissen, dass die Maschine B unser Engpass ist. Haben wir das in unserer obigen Rechnung berücksichtigt? Wie „benutzt“ jedes unserer Produkte die Maschine?
Schauen wir nochmal genau hin, dann erkennen wir, dass wir doppelt so viele Minuten von B brauchen, um ein Produkt Q herzustellen als für ein Produkt P. Gibt es also ein besseres Kriterium für eine derartige Situation? Wie wäre es mit „Deckungsbeitrag pro Minute Engpasszeit“ als Kriterium?
- Produkt Q hat einen Deckungsbeitrag von 60€ und benötigt 30 Minuten B-Arbeitszeit. Ergibt einen Deckungsbeitrag von 2€ pro B-Minute.
- Produkt P hat einen Deckungsbeitrag von 45€ und benötigt 15 Minuten B-Arbeitszeit. Ergibt einen Deckungsbeitrag von 3€ pro B-Minute. Eine Verbesserung von 50%!
Schauen wir uns also an, wie unser Gewinn aussieht, wenn wir 100 P produzieren und die restliche B-Kapazität auf Q verwenden. Dies ist das direkte Gegenteil unserer ursprünglichen Entscheidung.
- Umsatz von P: 90€/Stück X 100 Stück = 9.000€ / Woche.
- Materialkosten von P: 45€/ Stück X 100 Stück = 4.500€ / Woche.
- Deckungsbeitrag P: = 4.500€ / Woche.
- Um 100 Stück von P zu produzieren, brauchen wir 1500 Minuten der Kapazität von B. Es bleiben 900 Minuten, um P herzustellen. Damit können wir 30 Q produzieren.
- Umsatz von Q: 100€/ Stück X 30 Stück = 3.000€ / Woche.
- Materialkosten von Q: 40€/ Stück X 30 Stück = 1.200€/ Woche.
- Deckungsbeitrag Q: = 1.800€ / Woche
- Gesamtumsatz: = 6.300€.
- Profit = +300€
Die Produktkosten-Überlegung hat uns also hier definitiv zur falschen Entscheidung geführt, was wir verkaufen sollen. Übertragen Sie dies auf die Situation von Nylon 66 weiter oben, werden Sie feststellen, dass Produktkalkulation auf Profitcenter-Niveau ähnliche Probleme erzeugt, wenn man eine lokale Entscheidung treffen muss, um den Gewinn für das Gesamtunternehmen zu maximieren.
Als die Produktkalkulation entwickelt wurde, machte sie durchaus Sinn. Der Großteil der Kosten war damals direkt auf das Produkt bezogen, während das heute definitiv nicht mehr der Fall ist. Der Großteil der Kosten heutzutage bezieht sich auf irgendwelche Gemeinkosten, die in keinerlei direktem Verhältnis zu einem Produkt stehen. Als das Konzept „Produktkosten“ erfunden wurde, haben Buchhalter durchaus gemahnt, dass es sich dabei lediglich um eine Schätzung handelt, und dass die Produktkalkulation mit Vorsicht angewendet werden sollte.
Lesen Sie im letzten Teil unserer Serie, wie das Rechnungswesen helfen kann, Make- vs. Buy-Entscheidungen zu treffen.
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1: Financial Accounting Standards Board
2: The Haystack Syndrome, Sifting Information Out of the Data Ocean von Dr. Eli Goldratt, S. 64 -99
3: siehe auch: https://vistem.eu/buecher/#ToC-Goldratt (Uwe Techt: „Goldratt und die Theory of Constraints“, 6. Auflage, Seite 56 ff.)