
Gastbeitrag von Rudolf Burkhard
Unterstützen unsere herkömmlichen Buchhaltungsmethoden unsere Entscheidungen oder sollten Manager andere Konzepte nutzen? In 5 Situationen wird beschrieben, wie richtige Entscheidungen zu ‚falschen’ Resultaten führen können. Verfolgen Sie unsere Serie über die nächsten fünf Wochen.
„Rechnungslegung ist immer – in unterschiedlichem Ausmaß – darauf ausgerichtet, Entscheidungen zu ermöglichen (auch wenn Entscheidungsträger oft weitere Informationsquellen hinzuziehen). Hauptzweck der Rechnungslegung ist also die Bereitstellung notwendiger Informationen, um Investitions-, Kredit- und ähnliche Entscheidungen treffen zu können. Der Nutzen jeglicher Information definiert sich in Bezug auf den Zweck, den sie zu erfüllen hat; Ziel der Rechnungslegung ist also, alle relevanten finanziellen Informationen für wichtige Unternehmensentscheidungen zu liefern.“
Aus dem FASB1-Dokument: Statement of Financial Accounting Concepts No. 2 Qualitative Characteristics of Accounting Information1.
1. Die derzeit übliche Praxis erschwert oft richtige Entscheidungen und fördert falsche Entscheidungen2!
Ein Unternehmen wird über seinen Jahresabschluss beurteilt
Welche Werte fließen in einen Jahresabschluss ein? Welche Werte beeinflussen wie?
Unser Beispiel – Warenbestände
Wie werden diese im Jahresabschluss eingeordnet? Einerseits wissen wir, zu hohe Bestände stellen einen Nachteil oder gar ein Risiko für die Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens dar. Andererseits werden Bestände in der Bilanz als Vermögen bewertet.
Seltsam, nicht wahr? Wie kann ein Bestand sowohl ein Nachteil als auch ein Vermögenswert sein? Welche Probleme entstehen dadurch fürs Management? Welche Verhaltensweisen werden durch diesen Gegensatz gefördert?
Bestände stellen einen Nachteil dar, denn:
1. Sie gefährden die Qualität – Produkte gewinnen bei ihrer Lagerung (außer vielleicht Käse und Rotwein) selten an Wert; in der Regel verlieren sie an Qualität. Sind die Bestände zu hoch und müssen zügig abgebaut werden, dauert es deutlich länger, eine verbesserte Version unseres Produktes einzuführen.
2. Probleme im Prozess bleiben verborgen – bei hohen Umlaufbeständen dauert es bedeutend länger, bis ein systematisches Qualitätsproblem auffällt.
3. Hohe Bestände reduzieren unsere Fähigkeit, auf wechselnde Nachfrage oder Bedürfnisse am Markt zu reagieren – viel zu oft liegen alte Bestände in unseren Lagerhäusern rum, weil sich der Marktbedarf inzwischen verändert hat. Wünscht der Markt eine Veränderung eines Produkts bleiben wir auf hohen Beständen des alten Produkts sitzen und haben gleichzeitig Fehl- und Mehrbestände.
4. Hohe Bestände führen zu schlechter Liefertreue – zu große Losgrößen lasten die Maschinen auf und führen zu hohen Umlaufbeständen. Durch die Dauerauslastung müssen zumindest einige Aufträge auf Bearbeitung warten. Warteschleifen sind zwar in der Produktion normal, doch bei zu hohen Losgrößen warten neue Aufträge zu lange, während gleichzeitig Produkte hergestellt werden, die noch nicht benötigt werden. Wieder haben Lagerhäuser gleichzeitig Fehl- und Mehrbestände – und Fehlbestände führen zu unzuverlässiger Liefertreue.
5. Durchlaufzeiten erhöhen sich – wenn Aufträge zu lange darauf warten müssen, bis große Produktionsserien beendet werden, verlängert sich ihre Durchlaufzeit. Je höher die Losgrößen und daraus folgend die Umlaufbestände, umso höher die Durchlaufzeiten.
Wenn Bestände solch ein Risiko darstellen, wieso werden sie dann als Vermögen (also erstmal positiv) eingeordnet? Und hindert uns dieser Tatbestand daran, unsere Bestände zu verringern?
Die Lagerbestände werden für die Bilanz bewertet (siehe auch https://www.akademie-herkert.de/glossar/bestandsbewertung). Einfach gerechnet wird der Einstandspreis sowie die Herstellkosten ermittelt. Der Wert des Produkts ist also „erhöht“. Faktisch gibt es aber keinen Mehrwert, bis ein Kunde das Produkt auch tatsächlich kauft (über diesen Punkt kann man lange diskutieren. Doch ungeachtet der persönlichen Sichtweise ist dieser Mehrwert ganz einfach ein notwendiges, fiktives Konstrukt für die Unternehmensbilanz und die Finanzbehörden. In der Realität wird der Mehrwert vom Kunden bestimmt und entsteht erst, wenn das Produkt erworben und bezahlt wird.).
Der dadurch entstehende Schaden erklärt sich wie folgt: wenn wir unseren Produkten einen Wert zuordnen und sie zu den Beständen hinzuzählen, dann verschieben wir sozusagen die Betriebskosten in die Bestände und „verbergen“ diese Kosten in unserer Gewinn- und Verlustrechnung. Solange die Bestände konstant bleiben, hat dies keinen Effekt. Aber…!!!
Dazu ein Beispiel: Als Manager sind meine ausgewiesenen Gewinne möglicherweise zu niedrig, um meine Vorgaben zu erfüllen. Dies kann ich sehr leicht korrigieren, indem ich meine Produktion dazu veranlasse, so viel zu produzieren wie möglich, um meine Bestände – und so mein Vermögen zu erhöhen. Indem die Betriebskosten in die Bestände verlagert werden, erhöhen sich meine Gewinne und ich kriege meine Jahresendzulage (derartige Vorgehensweisen haben Unternehmen übrigens schon in den Bankrott getrieben). https://de.wikipedia.org/wiki/Gewinn-_und_Verlustrechnung
Ich könnte aber auch anders handeln: Ich könnte meine Bestände verringern, um mich in den 5 o.g. Punkten zu verbessern. Ich kann tolle Ergebnisse vorweisen: die Liefertreue erhöht sich, die Durchlaufzeiten schrumpfen und die Kunden sind allgemein sehr zufrieden. Doch wenn meine Umsätze nicht gleichzeitig ausreichend wachsen, werden meine Gewinne sinken (da ich die Bestände reduziere und gleichzeitig der entsprechenden Wert aus dem Vermögen entzogen und den Kosten zugeschrieben wird). Ich muss nicht nur meine normalen monatlichen Betriebskosten decken, sondern auch die Betriebskosten, die in den Beständen schlummern und die ich jetzt verkaufe. Meine Leistungsfähigkeit scheint zu sinken!
Auch wenn unsere Bilanz und unsere Gewinn- und Verlustrechnung die für alle Unternehmen gültigen Regeln befolgen müssen, hindert uns nichts daran, intern separat Berechnungen zu führen, um
1. Manager dazu zu ermutigen, Bestände zu verringern, ohne dafür bestraft zu werden, und
2. zu verhindern, dass unnötig Bestände aufgebaut werden, um die Profitbilanz zu frisieren.
Der einfachste Weg ist, Bestände zum Wert der Materialkosten zu verbuchen und laufende Betriebskosten sofort im Monat zu verrechnen, wo sie entstehen. Es braucht keine komplizierte interne Buchführung!
Lesen Sie im nächsten Teil, wie das Rechnungswesen die notwendigen Informationen bezüglich Investitionen liefern kann.
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1: Financial Accounting Standards Board
2: Goldratt’s Insights – TOC Finance and Measurements