Das Konzept des „Engpasses“ im Unternehmen spielt in der Theory of Constraints eine grundlegende Rolle – nicht umsonst ist die von Eli Goldratt entwickelte Management-Philosophie danach benannt. Goldratts Theorie basiert auf der grundsätzlichen Idee, dass jedes System nur einen Engpass haben kann, auf den sich alle Anstrengungen fokussieren müssen, um den Durchsatz des Systems zu verbessern.
Von dieser simplen, bahnbrechenden Idee ausgehend wurde die Theory of Constraints und das davon abhängige Werk in den vergangenen Jahrzehnten bedeutend ausgeweitet. Konzepte wie Critical Chain Projektmanagement, Viable Vision und Kontinuierliche Verbesserung; Tools wie die Durchsatzrechnung, der Zukunftsbaum oder Strategie und Taktik – sie alle helfen Unternehmen, sich erfolgreich weiterzuentwickeln. Der Engpass aber bleibt in all diesen Maßnahmen weiterhin von fundamentaler Bedeutung.
Wäre es daher nicht hilfreich, sich mit ihm einmal näher zu befassen? Was genau ist der Engpass – und was ist er nicht? Selbst innerhalb der Welt der Theory of Constraints ist man da nicht immer einer Meinung. Das Webinar Eli Schragenheims zum Thema1 bot daher einen interessanten (nicht unkontroversen) Einblick in einige der historischen wie neueren Überlegungen zum Thema.
Die Fünf-Fokus-Schritte, die auf diesem Blog auch hier bereits behandelt wurden, verbessern den Durchsatz eines Unternehmens, indem Sie den Engpass des Systems nutzen:
1. Identifiziere den Engpass
2. Nutze den Engpass optimal aus
3. Ordne alles andere dieser optimalen Nutzung unter
4. Erweitere den Engpass
5. Wenn sich der Engpass verschiebt, beginne den Prozess von vorn. Trägheit darf nicht zum Engpass des Systems werden!
Dabei stellt sich natürlich gleich bei Schritt eins die Frage: woran erkenne ich den Engpass? Hier bietet Schragenheim verschiedene Aspekte, die es zu beachten gilt.
Was ist ein Engpass – und was ist keiner?
Suchen Sie in Ihrem Unternehmen, den Engpass zu bestimmen, dann gehen die Fragen oft in die Richtung: „wovon haben wir nicht genug?“
- Nicht genug Arbeitsstunden innerhalb eines Teams
- Nicht genug Mitarbeiter mit dem notwendigen Expertenwissen
- Nicht genug Management-Zeit, alle dringenden Fragen rechtzeitig zu beantworten
- Nicht genug Nachfrage nach dem Produkt
- Usw.
Die Beispiele sind Engpässe, den man inkrementell entlasten (i.a.W. verbessern) kann. Es gibt aber rein theoretisch auch Engpässe, bei denen es als Möglichkeiten nur „aus“ oder „an“ gibt: Schragenheim spricht von totalen Engpässen (im Gegensatz zu kontinuierlichen). Ein totaler Engpass kann nur mit einem grundlegenden Paradigmenwechsel oder einer bedeutenden Investition durchbrochen werden – was oft entsprechend schwieriger ist. Ein Beispiel eines solchen Engpasses wäre eine notwendige Zertifizierung, um in einer bestimmten Branche akkreditierter Lieferant zu werden.
Dabei ist es wichtig, zwischen einem Engpass und einem „Kernproblem“ zu unterscheiden. Für den Engpass setzt die Theory of Constraints, wie bereits erwähnt, die Fünf-Fokus-Schritte ein – er wird also optimal ausgenutzt. Ein Kernproblem hingegen ist ein ungelöster Konflikt, der zu multiplen unerwünschten Effekten führt und meist auf einer falschen Annahme basiert. Sie ermitteln das Kernproblem anhand des Gegenwartsbaums und durchbrechen es mit der Konfliktwolke.
Nun ist es leicht, den Unterschied zu erkennen: Sie würden einen Kernkonflikt nicht „ausnutzen“ und ihm den Rest des Unternehmens unterordnen – Sie müssen den Kernkonflikt beseitigen, damit das Unternehmen sich weiterentwickeln kann. Aus dem gleichen Grund kann eine Unternehmensregel auch nicht Ihr Engpass sein. Sie kann zwar Ihr Unternehmen daran hindern, sein Ziel zu erreichen. Doch sie muss beseitigt werden, nicht ausgenutzt. Hier findet das Tool der Feuerwolke oft Verwendung – eine Konfliktwolke spezifisch für Regeln.
Leistung oder Fähigkeiten
Hervorzuheben ist auch der Unterschied – und die Abhängigkeiten – zwischen Fähigkeiten (was kann ich leisten) und Leistungsvermögen oder Kapazitäten (wieviel davon kann ich leisten). Dass Leistungsvermögen der Engpass sein kann – und in der Praxis auch oft ist – erscheint offensichtlich. Das Technikerteam mit hochspezialisiertem Wissen ist chronisch überlastet. Man kann diesen Engpass ausnutzen, indem man einfachere Aufgaben an andere Ressourcen abgibt, Prozesse standardisiert, Multitasking reduziert, usw.
Doch was ist mit den eigentlichen Kenntnissen? Sie sind doch ein Vorteil – oft können Sie sogar zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil werden, wenn sie es dem Unternehmen erlauben, etwas anzubieten, das sonst niemand kann. Ein Engpass sind die Kenntnisse also nicht – doch können Sie schnell zu einem führen, denn: Experten, die auf etwas hochspezialisiert sind, können somit alles andere weniger; das Unternehmen wird sich also auf die Spezialisierung konzentrieren, um seine Fähigkeiten bestmöglich einzusetzen. Fast zwangsläufig werden die Kapazitäten der Experten damit zum Engpass. Dies wird nur weiter verschärft, wenn die Nachfrage aus dem Markt (wie gewünscht) ansteigt.
Interner oder externer Engpass
Hier zeigt sich ein weiterer interessanter Punkt, nämlich die Wahl zwischen internem oder externem Engpass. Hat ein Unternehmen erfolgreich Verbesserungsinitiativen durchgeführt und seine Engpässe der Reihe nach anhand der fünf-Fokus-Schritte „abgearbeitet“, so muss der Engpass irgendwann in den Markt wandern: die internen Prozesse sind optimiert und können die Nachfrage immer bedienen.
Andererseits will das Unternehmen natürlich wachsen – und gerade, wenn es einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil entwickelt hat und seine Marktanteile vergrößert, besteht schnell die Gefahr, dass es das Wachstum nicht aufrechterhalten kann und der Engpass wieder in die Produktion wandert. Dies ist ein Balance-Akt, der auch die Frage aufwirft: wo ist uns denn der Engpass lieber?
- Im Regelfall hat man einen internen Engpass besser „unter Kontrolle“: der Markt ist unvorhersehbar. Liegt der Engpass im Markt, kann man sehr schlecht planen.
- Dies beeinflusst jedoch auch einen internen Engpass! Selbst ein Engpass, der im „Normalzustand“ optimal ausgenutzt funktioniert, kann durch überraschende Marktfluktuationen ins Stottern geraten.
- Übersteigt die Nachfrage die Lieferkapazitäten des Unternehmens, so ist es in der „glücklichen Lage“, sich seine Aufträge auswählen zu können und vielleicht gar höhere Preise zu fordern.
- Doch dies kann schnell nach hinten losgehen: wenn sich Kunden nicht sicher sein können, dass sie ihr Produkt auch jedes Mal rechtzeitig bekommen, dann schauen sie sich anderswo um – bis irgendwann keine Kunden mehr bleiben.
Dabei bleibt zusätzlich zu bedenken: selbst wenn der eigentliche Engpass im Markt ist, bleibt intern weiterhin ein „schwächstes Glied“ erhalten (ein interner, sekundärer Engpass), das schnell wieder relevant werden kann, wenn sich der Markt verändert.
Die „Wahl“ des Engpasses kann dabei ein wichtiger strategischer Schritt sein. Denn anhand der Fünf-Fokus-Schritte lässt sich der Engpass selbstverständlich auch verschieben. „Auflösen“ lässt sich der Engpass nicht – irgendeine Stelle ist auch in einem optimal funktionierenden System die „engste“ Stelle. Doch Sie können entscheiden, welcher Engpass am einfachsten zu managen ist und so strategisch entscheiden, ihn dort zu belassen. Das ist wie bereits erwähnt oft der Markt, muss aber nicht zwangsweise immer so sein.
In unserem nächsten Beitrag zum Thema gehen wir einen Schritt weiter und stellen die schockierende These in den Raum: gibt es vielleicht doch mehr als einen Engpass im System?
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1: Eli Schragenheim, Re-evaluating the Five Focusing Steps, TOCICO 2015